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Das vierzehnte Kapitel - Die Liebe auf den ersten Blick

×èòàéòå òàêæå:
  1. Das achte Kapitel - Der Schneemann Kasimir
  2. Das dritte Kapitel - Mutter Hagedorn und Sohn
  3. Das erste Kapitel - Dienstboten unter sich und untereinander
  4. Das neunzehnte Kapitel - Vielerlei Schulzes
  5. Das sechzehnte Kapitel - Auf dem Wolkenstein
  6. Das siebente Kapitel - Siamesische Katzen
  7. Das zehnte Kapitel - Herrn Kesselhuths Aufregungen
  8. Das zwanzigste Kapitel - Das dicke Ende
  9. III. KAPITEL. Von den Engeln. Ãëàâà III. Îá Àíãåëàõ
  10. III. KAPITEL. Von den zwei Naturen. Gegen die Monophysiten. Ãëàâà III. Î äâóõ åñòåñòâàõ (âî Õðèñòå), ïðîòèâ ìîíîôèçèòîâ
  11. In der ersten automatischen Fabrik

 

Am nächsten Nachmittag geschah etwas Außergewöhnliches: Hagedorn verliebte sich! Er tat dies im Hotelautobus, der neue Gäste vom Bahnhof brachte und den er, von einem kleinen Ausflug kommend, unterwegs bestieg. Einer der Passagiere war ein junges, herzhaftes Mädchen. Sie hatte eine besonders geradlinige Art, die Menschen anzuschauen.

(Womit nicht nur gesagt werden soll, daß sie nicht schielte.) Neben ihr saß eine dicke, verstört gutmütige Frau, die von dem Mädchen»Tante Julchen«genannt wurde.

Hagedorn hätte Tante Julchens Nichte stundenlang anstarren können. Außerdem wurde er das Gefühl nicht los, das junge Mädchen schon einmal gesehen zu haben.

Tante Julchen war ziemlich umständlich. Daß die Koffer auf dem Autobus verstaut worden waren, beschäftigte ihr Innenleben aufs lebhafteste. Bei jeder Kurve griff sie sich ans Herz und jammerte vor Schreck.

Außerdem war ihr kein Berg zu niedrig — sie wollte seinen Vor- und Zunamen wissen. Hagedorn machte sich nützlich und log zusammen, was ihm gerade einfiel. Einige Fahrgäste, welche die Gegend von früher her zu kennen schienen, musterten ihn mißtrauisch. Sie nahmen ihm seine frei erfundene Geographie ein bißchen übel.

Tante Julchen hingegen sagte:

»Vielen Dank, mein Herr. Man kommt sich sonst vor wie in einer fremden Stadt bei Nacht. Jede Straße heißt anders, aber man kann die Schilder nicht lesen. Dabei war ich noch nie in den Alpen.«

Das junge Mädchen sah ihn, um Nachsicht bittend, an, und dieser Blick gab ihm den Rest.

Er lächelte blöde, hätte sich ohrfeigen können und erwog den Plan, aufzustehen und während der Fahrt abzuspringen.

Er blieb natürlich sitzen.

Vorm Hotel half er den beiden beim Aussteigen. Und da Tante Julchen das Abladen der Koffer aufs strengste überwachte, waren das junge Mädchen und er plötzlich allein.

»Das ist aber ein schöner Schneemann«, rief sie.

»Gefällt er Ihnen?«fragte er stolz.»Den haben Eduard und ich errichtet. Und ein Bekannter, der eine große Schiffahrtslinie besitzt. Eduard ist mein Freund.«

»Aha!«sagte sie.

»Er hat leider seit gestern abgenommen.«

»Der Besitzer der Schiffahrtslinie oder Ihr Freund Eduard?«

»Der Schneemann«, erwiderte er.»Weil die Sonne so sehr schien.«

Sie betrachteten den Schneemann und schwiegen verlegen.

»Wir haben ihn Kasimir getauft«, erklärte er später.»Er hat nämlich einen Eierkopf. Und in solch einem Fall ist es ein wahres Glück, Kasimir zu heißen.«

Sie nickte verständnisvoll und zeigte auf die Teddybären, die neben Kasimir hockten.

»Es sind Eisbären geworden. Ganz weiß. Wie nennt man das gleich?«

»Mimikry«, gab er zur Antwort.

»Ich bin so vergeßlich«, sagte sie.»Was die Bildung anbelangt.«

»Werden Sie lange hierbleiben?«fragte er.

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich muß bald wieder nach Berlin zurück.«

»Ich bin auch aus Berlin«, meinte er.»Welch ein Zufall!«

Geheimrat Tobler hielt, oben im fünften Stock, sein Nachmittagsschläfchen. In Bruckbeuren hatte er sich eigentlich, aus Hochachtung vor den Schönheiten der Natur, dieses Brauches entäußern wollen. Aber man war eben doch nicht mehr der Jüngste.

Und so hatte er Johanns Heizsonne in Betrieb gesetzt, sich ins Bett gelegt und schlief.

Dann aber wurde die Tür aufgerissen. Er erwachte und blickte mißmutig auf. Hagedorn stand vor ihm, setzte sich aufs Bett und sagte:

»Wo hast du denn die Heizsonne her, Eduard?«

»Das ist 'ne Stiftung«, bemerkte Schulze mit verschlafener Stimme.»Solltest du gekommen sein, um mich das zu fragen, so nennen wir uns wieder Sie.«

»Mensch! Schulze!«stieß Hagedorn hervor.»Ich mußte es dir sofort sagen. Ich bin verloren. Ich habe mich soeben verliebt!«

»Ach, bleib mir mit deinen albernen Weibern vom Halse«, befahl Eduard und drehte sich zur Wand.»Gute Nacht, mein Junge!«

»Sie ist kein albernes Weib«, sagte Fritz streng.»Sie ist enorm hübsch. Und gescheit! Und Humor hat sie. Und ich glaube, ich gefalle ihr auch.«

»Du bist größenwahnsinnig!«murmelte Schulze.

»Welche ist es denn? Die Mallebré oder die Circe aus Bremen?«

»Höre schon endlich mit denen auf!«rief Hagedorn entrüstet.»Es ist doch eine ganz andere! Sie ist doch nicht verheiratet! Das wird sie doch erst sein, wenn ich ihr Mann bin! Eine Tante ist mit dabei. Die hört auf den Namen Julchen.«

Schulze war nun wach geworden.

»Du bist ein Wüstling! «sagte er.»Warte mit dem Heiraten wenigstens bis morgen! Du wirst dich doch nicht etwa in eine Gans vergaffen, die mit einer Tante namens Julchen auf Männerfang geht! Wir werden schon wen für dich finden.«

Hagedorn stand auf.

»Eduard, ich verbiete dir, in einem derartigen Ton von meiner zukünftigen Gemahlin zu sprechen! Sie ist keine Gans. Und sie fängt keine Männer. Sehe ich vielleicht wie eine gute Partie aus?«

»Gott bewahre!«sagte Schulze.»Aber sie hat doch natürlich davon gehört, daß du ein Thronfolger bist!«

»Diesen Quatsch kann sie noch gar nicht gehört haben«, meinte der junge Mann.»Sie ist nämlich eben erst aus Berlin eingetroffen.«

»Und ich erlaube es ganz einfach nicht«, erklärte Schulze kategorisch.»Ich vertrete Mutterstelle an dir. Ich verbiete es dir. Damit basta! Ich werde dir schon eines schönen Tages die richtige Frau aussuchen.«

»Geliebter Eduard«, sagte Fritz.»Schau sie dir erst einmal an. Wenn du sie siehst, wird dir die Luft wegbleiben!«

Hagedorn setzte sich in die Halle und behielt den Lift und die Treppe im Auge. Seine erste Begeisterung wich, während er ungeduldig auf das junge Mädchen und auf die Zukunft wartete, einer tiefen Niedergeschlagenheit. Ihm war plötzlich eingefallen, daß man zum Heiraten Geld braucht und daß er keines hatte.

Früher, als er Geld verdiente, war er an die verkehrten Fräuleins geraten. Und jetzt, wo er Tante Julchens Nichte liebte, war er stellungslos und wurde für einen Thronfolger gehalten!

»Sie sehen aus, als wollten Sie ins Kloster gehen«, sagte jemand hinter ihm.

Er fuhr hoch. Es war Tante Julchens Nichte. Er sprang auf. Sie setzte sich und fragte:

»Was ist denn mit Ihnen los?«

Er blickte sie so lange an, bis sie die Lider senkte. Er hustete und meinte dann:

»Außer Herrn Kesselhuth und Eduard weiß es in dem Hotel noch kein Mensch. Ihnen muß ich es aber sagen. Man hält mich für einen Millionär oder, wie Eduard behautet, für den Thronfolger von Albanien. Wieso, weiß ich nicht. In Wirklichkeit bin ich ein stellungsloser Akademiker.«

»Warum haben Sie denn das Mißverständnis nicht aufgeklärt?«fragte sie.

»Nicht wahr?«meinte er.»Ich hätte es tun sollen. Ich wollte es ja auch! Ach, ich bin ein Esel! Sind Sie mir sehr böse? Eduard meinte nämlich, ich solle den Irrtum auf sich beruhen lassen. Vor allem wegen der drei siamesischen Katzen. Weil er so gern mit ihnen spielt.«

»Wer ist denn nun eigentlich dieser Eduard?«fragte sie.

»Eduard und ich haben ein Preisausschreiben gewonnen. Dafür lassen wir uns hier gratis durchfüttern.«

»Von dem Preisausschreiben habe ich in der Zeitung gelesen«, meinte sie.»Es handelt sich um ein Ausschreiben der Toblerwerke, ja?«

Er nickte.

»Dann sind Sie Doktor Hagestolz?«

»Hagedorn«, verbesserte er.»Mein Vorname ist Fritz.«

Anschließend schwiegen sie. Dann wurde sie rot. Und dann sagte sie:

»Ich heiße Hildegard.«

»Sehr angenehm«, antwortete er.»Der schönste Vorname, den ich je gehört habe!«

»Nein«, erklärte sie entschieden.»Fritz gefällt mir besser!«

»Ich meine die weiblichen Vornamen.«

Sie lächelte.»Dann sind wir uns ja einig.«

Er faßte nach ihrer Hand, ließ sie verlegen wieder los und sagte:»Das wäre wundervoll.«

Endlich trat Schulze aus dem Lift. Hagedorn nickte ihm schon von weitem zu und meinte zu Tante Julchens Nichte:

»Jetzt kommt Eduard!«

Sie drehte sich nicht um.

Der junge Mann ging dem Freund entgegen und flüsterte:

»Das ist sie.«

»Was du nicht sagst!«erwiderte Schulze spöttisch.»Ich dachte, es wäre schon die nächste.«

Er trat an den Tisch. Das junge Mädchen hob den Kopf, lächelte ihm zu und meinte:

»Das ist gewiß Ihr Freund Eduard, Herr Doktor. So hab ich ihn mir vorgestellt.«

Hagedorn nickte fröhlich.

»Jawoll. Das ist Eduard. Ein goldnes Herz in rauher Schale. Und das ist ein gewisses Fräulein Hildegard.«

Schulze war wie vor den Kopf geschlagen und hoffte zu halluzinieren. Das Mädchen lud zum Sitzen ein.

Er kam der Aufforderung, völlig geistesabwesend, nach und hätte sich beinahe neben den Stuhl gesetzt.

Hagedorn lachte.

»Sei nicht so albern, Fritz!«sagte Schulze mürrisch.

Aber Fritz lachte weiter.»Was hast du denn, Eduard? Du siehst wie ein Schlafwandler aus, den man laut beim Namen gerufen hat.«

»Gar kein übler Vergleich«, meinte das junge Mädchen beifällig.

Sie erntete einen vernichtenden Blick von Schulze.

Hagedorn erschrak und dachte:»Das kann ja heiter werden!«Anschließend redete er, fast ohne Atem zu holen, über den Lumpenball, und weswegen Schulze keinen Kostümpreis erhalten hätte, und über Kesselhuths erste Skistunde, und über Berlin einerseits und die Natur andererseits, und daß seine Mutter geschrieben habe, ob es in Bruckbeuren Lawinen gebe, und –

»Tu mir einen Gefallen, mein Junge!«bat Eduard.»Hole mir doch aus meinem Zimmer das Fläschchen mit den Baldriantropfen! Ja? Es steht auf dem Waschtisch. Ich habe Magenschmerzen.«

Hagedorn sprang auf, winkte dem Liftboy und fuhr nach oben.

»Sie haben Magenschmerzen?«fragte Tante Julchens Nichte.

»Halte den Schnabel!«befahl der Geheimrat wütend.»Bist du plötzlich übergeschnappt? Was willst du hier?«

»Ich wollte nur nachsehen, wie dir's geht, lieber Vater«, sagte Fräulein Hilde.

Der Geheimrat trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte.

»Dein Benehmen ist beispiellos! Erst informierst du, hinter meinem Rücken, die Hoteldirektion, und vier Tage später kommst du selber angerückt!«

»Aber Papa«, entgegnete seine Tochter.»Der Anruf nützte doch nichts. Man hielt doch Herrn Hagedorn für den Millionär!«

»Woher weißt du das?«

»Er hat mir's eben erzählt.«

»Und weil er dir das eben erzählt hat, bist du vorgestern von Berlin weggefahren?«

»Das klingt tatsächlich höchst unwahrscheinlich«, meinte sie nachdenklich.

»Und seit wann hast du eine Tante, die Julchen heißt?«

»Seit heute früh, lieber Vater. Willst du sie kennenlernen? Dort kommt sie gerade!«

Tobler wandte sich um. In ihrem zweitbesten Kleid kam, dick und kordial, Frau Kunkel treppab spaziert. Sie suchte Hilde und entdeckte sie. Dann erkannte sie den violett gekleideten Mann neben ihrer Nichte, wurde blaß, machte kehrt und steuerte schleunigst wieder auf die Treppe zu.

»Schaffe mir auf der Stelle diese idiotische Person herbei!«knurrte der Geheimrat.

Hilde holte die Kunkel auf den ersten Stufen ein und schleppte sie an den Tisch.

»Darf ich die Herrschaften miteinander bekannt machen?«fragte das junge Mädchen belustigt.»Herr Schulze — Tante Julchen.«

Tobler mußte sich, aus Rücksicht auf den neugierig herüberschauenden Portier, erheben. Die Kunkel reichte ihm, ängstlich und glücklich zugleich, die Hand.

Er verbeugte sich förmlich, setzte sich wieder und fragte:

»Bei euch piept's wohl? Was?«

»Nur bei mir, Herr Geheimrat«, erwiderte Tante Julchen.»Gott sei Dank, Sie leben noch! Aber schlecht sehen Sie aus. Na, es ist ja auch kein Wunder.«

»Ruhe!«befahl Hilde.

Doch Frau Kunkel trat bereits aus den Ufern.

»Auf Leitern klettern, die Eisbahn kehren, Kartoffeln schälen, in einer Rumpelkammer schlafen...«

»Kartoffeln habe ich nicht geschält«, bemerkte Tobler.»Noch nicht.«

Die Kunkel war nicht mehr aufzuhalten.

»Die Treppen scheuern, schiefe Wände haben Sie auch, und keinen Ofen im Zimmer, ich habe es ja kommen sehen!

Wenn Sie jetzt eine doppelseitige Lungenentzündung hätten, kämen wir vielleicht schon zu spät, weil Sie schon tot wären! Es dreht sich einem das Herz im Leibe um. Aber natürlich, ob wir inzwischen in Berlin sitzen und jede Minute darauf warten, daß der Blitz einschlägt, Ihnen kann das ja egal sein. Aber uns nicht, Herr Geheimrat! Uns nicht!

Man sollte es wirklich nicht für möglich halten. Ein Mann wie Sie macht hier den dummen August!«Sie hatte echte Tränen in den Augen.»Soll ich Ihnen einen Umschlag machen? Haben Sie irgendwo Schmerzen, Herr Geheimrat? Ich könnte das Hotel anzünden! Oh!«

Sie schwieg und putzte sich geräuschvoll die Nase.

Tobler sah Tante Julchen unwillig an.

»So ist das also«, meinte er und nickte wütend.»Herr Kesselhuth hat geklatscht. Mit mir könnt ihr's ja machen.«

Seine Tochter sah ihn an.

»Papa«, sagte sie leise.»Wir hatten solche Sorge um dich. Du darfst es uns nicht übelnehmen. Wir hatten keine ruhige Minute zu Hause. Verstehst du das denn nicht? Die Kunkel und der Johann und sogar ich, wir haben dich doch lieb.«

Der Kunkel rollte aus jedem Auge je eine Träne über die knallroten Bäckchen. Sie schluchzte auf.

Geheimrat Tobler war unbehaglich zumute.

»Lassen Sie die blöde Heulerei!«brummte er.

»Ihr benehmt euch ja noch kindischer als ich!«

»Ein großes Wort«, behauptete seine Tochter.

»Kurz und gut«, sagte Tobler,»ihr macht hier alles kaputt. Daß ihr's nur wißt! Ich habe einen Freund gefunden. So etwas braucht ein Mann! Und nun kommt ihr angerückt. Er stellt mich meiner eigenen Tochter vor! Kurz vorher hat er oben in meinem Zimmer erklärt, daß er dieses Mädchen unbedingt heiraten wird!«

»Welches Mädchen?«erkundigte sich Hilde.

»Dich!«sagte der Vater.»Wie sollen wir dem Jungen nun auseinanderposamentieren, wie sehr wir ihn beschwindelt haben? Wenn er erfährt, wer Tante Julchen und deren Nichte und der Schiffahrtslinienbesitzer Kesselhuth und sein Freund Schulze in Wirklichkeit sind, guckt er uns doch überhaupt nicht mehr an!«

»Wer will Fräulein Hildegard heiraten?«fragte die Kunkel. Ihre Tränen waren versiegt.

»Fritz«, sagte Hilde hastig.»Ich meine, der junge Mann, der Ihnen im Autobus die Namen der Berge aufgezählt hat.«

»Aha«, bemerkte Tante Julchen.»Ein reizender Mensch. Aber Geld hat er keins.«

 

Das fünfzehnte Kapitel - Drei Fragen hinter der Tür

 

Als Hagedorn mit den Baldriantropfen anrückte, saßen die drei einträchtig beisammen. Sie einte die Besorgnis, er könnte hinter ihr Geheimnis kommen.

»Tante Julchen ist auch da!«sagte er erfreut.»Sind die Koffer ausgepackt? Und wie gefällt Ihnen mein Freund Eduard?«

»Vorzüglich!«antwortete sie aus tiefster Seele.

»Eduard, hier sind die Tropfen«, meinte Hagedorn.

»Was für Tropfen?«fragte Schulze.

»Die Baldriantropfen natürlich!«erklärte Fritz.»Menschenskind, ich denke, du hast Magenschmerzen?«

»Ach richtig«, murmelte der andere, und dann mußte er wohl oder übel Baldriantropfen einnehmen. Mittels eines Kaffeelöffels. Hagedorn bestand darauf.

Hilde freute sich über die Gesichter, die ihr Vater schnitt. Tante Julchen, die nicht begriffen hatte, daß es sich um erfundene Magenschmerzen handelte, war schrecklich aufgeregt und wollte dem Kranken einen heißen Wickel machen. Schulze schwor, daß es ihm bereits viel, viel besser gehe.

»Das kennen wir!«sagte Tante Julchen mißtrauisch.»Das machen Sie immer so!«

Der Geheimrat und seine Tochter zuckten vor Schreck zusammen.

»Das machen sie immer so, die Männer!«fuhr die Tante geistesgegenwärtig fort.»Sie geben nie zu, daß ihnen etwas fehlt.«

Die Situation war gerettet. Frau Kunkels Gesicht grenzte an Größenwahn. So geschickt hatte sie sich noch nie aus der Affäre gezogen.

Ja, und dann kehrte Herr Kesselhuth von der vierten Skistunde zurück. Er hinkte aus Leibeskräften. Denn er war auf der Übungswiese versehentlich in den Graswander Toni hineingefahren.

Und beide waren, als unentwirrbarer Knäuel, in einem Wildbach gelandet.

Besonders tiefen Eindruck hatten dem grauhaarigen Skischüler die zahllosen ordinären Redensarten gemacht, mit denen er anschließend vom Herrn Anton Graswander belegt worden war. Sie waren auf keine Kuhhaut gegangen.

Onkel Polter erkundigte sich teilnahmsvoll, wie der Unglücksfall verlaufen war, und empfahl eine Firma, die den zerrissenen Sportanzug wieder ins Geschick bringen würde.

Kesselhuth sah sich suchend um.

»Herr Doktor Hagedorn sitzt in der Halle«, sagte der Portier.

Kesselhuth humpelte weiter. Er entdeckte den Tisch, an dem Schulze und Hagedorn saßen. Als er, nur noch wenige Schritte entfernt, sah, wer die beiden Frauen waren, begann er leise mit den Zähnen zu klappern. Er fuhr sich entsetzt über die Augen. Das war doch wohl nicht möglich!

Er blickte noch einmal hin. Dann wurde ihm übel. Er wäre für sein Leben gern im Boden versunken. Doch es gab weit und breit keine Versenkung. Er humpelte hinüber. Tante Julchen grinste schadenfroh.

»Was ist denn mit Ihnen geschehen?«fragte Schulze.

»Es ist nicht sehr gefährlich«, meinte Kesselhuth.»Es gab einen Zusammenstoß. Das ist alles. Ich habe aber das Gefühl, daß ich keinen Sport mehr treiben werde.«

Tante Julchen sah Herrn Hagedorn hypnotisch an.

»Wollen Sie uns nicht vorstellen?«

Der junge Mann machte die Herrschaften miteinander bekannt. Händedrücke wurden getauscht. Es ging sehr förmlich zu. Kesselhuth wagte nicht zu sprechen. Jede Bemerkung konnte grundverkehrt sein.

»Sie sind bestimmt der Herr, dem die Schiffahrtslinie gehört?«fragte Hilde.

»So ist es«, sagte Kesselhuth betreten.

»Was gehört ihm?«fragte Tante Julchen und hielt, als sei sie schwerhörig, eine Hand hinters Ohr.

»Eine Schiffahrtslinie«, meinte Herr Schulze streng.»Sogar eine sehr große Linie! Nicht wahr?«

Kesselhuth war nervös.

»Ich muß mich umziehen. Sonst hole ich mir den Schnupfen.«Er nieste dreimal.»Darf ich die Anwesenden bitten, nach dem Abendbrot in der Bar meine Gäste zu sein?«

»Genehmigt«, sagte Schulze.»Wir wollen sehen, wieviel Tante Julchen verträgt.«

Sie plusterte sich.»Ich trinke euch alle unter den Tisch. Als meine Schwester 1905 Hochzeit hatte, habe ich zwei Flaschen Johannisbeerwein ganz allein ausgetrunken.«

»Hoffentlich kriegen Sie Ihren Schwips diesmal etwas schneller«, meinte Kesselhuth,»sonst wird mir der Spaß zu teuer.«

Dann hinkte er zur Treppe. Er glich einer geschlagenen Armee.

Hagedorn verzehrte Hilde mittlerweile mit seinen Blicken. Plötzlich lachte er auf.

»Es ist zwar unwichtig, — aber ich weiß Ihren Familiennamen noch gar nicht.«

»Nein?«fragte sie.»Komisch, was? Stellen Sie sich vor: Ich heiße genau so wie Ihr Freund Eduard!«

»Eduard«, sagte der junge Mann,»wie heißt du? Ach so, entschuldige, ich glaube, bei mir ist heute ein Schräubchen locker. Sie heißen Schulze?«

»Seit wann siezt du mich denn wieder?«fragte Eduard.

»Er meint doch mich«, erklärte Hilde.»Es stimmt schon, Herr Doktor. Ich heiße genau wie Ihr Freund.«

»Nein, so ein Zufall!«rief Hagedorn.

»Schulze ist ein sehr verbreiteter Name«, bemerkte Eduard und musterte Hilde ärgerlich.

»Trotzdem, trotzdem«, meinte Fritz gefühlvoll.»Dieser Zufall berührt mich merkwürdig. Es ist, als stecke das Schicksal dahinter. Vielleicht seid ihr miteinander verwandt und wißt es gar nicht?«

An dieser Gesprächsstelle bekam Tante Julchen einen Erstickungsanfall und mußte von Fräulein Hildegard schleunigst aufs Zimmer transportiert werden. Auf der Treppe sagte sie erschöpft:

»Das ist die reinste Pferdekur. Konnten Sie sich denn keinen anderen Namen aussuchen?«

Hilde schüttelte energisch den Kopf.

»Ich konnte ihn nicht belügen. Daß ich genauso wie sein Freund Eduard heiße, ist doch wahr.«

»Wenn das mal gut geht«, sagte die Kunkel.

»Ist das Mädchen nicht wundervoll?«fragte Fritz.

»Doch«, meinte Eduard mürrisch.

»Hast du gesehen, daß sie, wenn sie lacht, ein Grübchen hat?«

»Ja.«

»Und in den Pupillen hat sie golden schimmernde Pünktchen.«

»Das ist mir an ihr noch nie aufgefallen«, sagte Schulze.

»Für wie alt hältst du sie eigentlich?«

»Im August wird sie einundzwanzig Jahre.«

Fritz lachte.»Laß deine Witze, Eduard! Aber ungefähr wird es schon stimmen. Findest du nicht auch, daß ich sie heiraten muß?«

»Na ja«, sagte Schulze.»Meinetwegen.«Er bemerkte endlich, daß er faselte, und nahm sich zusammen.»Vielleicht hat sie keinen Pfennig Geld«, warf er ein.

»Höchstwahrscheinlich sogar«, sagte Hagedorn.»Ich habe ja auch keins!

Ich werde sie morgen fragen, ob sie meine Frau werden will. Dann können wir uns umgehend verloben. Und sobald ich eine Anstellung gefunden habe, wird geheiratet. Willst du Trauzeuge sein?«

»Das ist doch selbstverständlich!«erklärte Schulze.

Hagedorn begann zu schwärmen.

»Ich bin wie neugeboren. Menschenskind, werde ich jetzt aber bei den Berliner Firmen herumlaufen! Ich werde sämtliche Generaldirektoren in Grund und Boden quatschen. Sie werden gar nicht auf die Idee kommen, mich hinauszuwerfen.«

»Vielleicht klappt es mit den Toblerwerken.«

»Wer weiß«, sagte Fritz skeptisch.»Mit Empfehlungen habe ich noch nie Glück gehabt. Nein, das machen wir anders. Wenn wir in Berlin sind, rücken wir dem ollen Tobler auf die Bude! Hast du 'ne Ahnung, wo er wohnt?«

»Irgendwo im Grunewald.«

»Die Adresse werden wir schon herauskriegen. Wir gehen ganz einfach hin, klingeln, schieben das Dienstmädchen beiseite, setzen uns in seine gute Stube und gehen nicht eher weg, bis er uns angestellt hat. Schlimmstenfalls übernachten wir dort. Ein paar Stullen nehmen wir mit. Ist das gut?«

»Eine grandiose Idee«, sagte Schulze.»Ich freue mich schon jetzt auf Toblers Gesicht. Wir zwei werden's dem ollen Knaben schon besorgen, was?«

»Worauf er sich verlassen kann!«bemerkte Hagedorn begeistert.»Herr Geheimrat — werden wir sagen — Sie besitzen zwar viele Millionen und verdienen jedes Jahr noch ein paar dazu, und somit ist es eigentlich überflüssig, daß zwei so talentierte Werbefachleute wie wir ausgerechnet zu Ihnen kommen.

Wir sollten lieber für Werke arbeiten, denen es schlecht geht, damit sie wieder auf die Beine kommen. Aber, Herr Geheimrat, keine Reklame ist so gut, daß sie nicht mit Kosten verbunden wäre. Wir Propagandisten sind Feldherren; aber unsre Armeen liegen, sauber gebündelt, in Ihrem Geldschrank. Ohne Truppen kann der beste Stratege keine Schlacht gewinnen.

Und Reklame ist Krieg! Es gilt, die Köpfe von Millionen Menschen zu erobern. Es gilt, diese Köpfe zum besetzten Gebiet zu machen, Herr Geheimrat Tobler! Man darf die Konkurrenz nicht erst auf dem Markt, man muß sie bereits im Gedankenkreis derer besiegen, die morgen kaufen wollen.

Wir Werbefachleute bringen es fertig, aus einem Verkaufsartikel, der dem freien Wettbewerb unterliegt, mit Hilfe der Psychologie einen Monopolartikel zu machen! Geben Sie uns Bewegungsfreiheit, Sire!«

Hagedorn holte Atem.

»Großartig!«meinte Schulze.»Bravo, bravo! Wenn uns der Tobler auch dann noch nicht engagiert, verdient er sein Glück überhaupt nicht.«

»Du sagst es«, erklärte Fritz pathetisch.»Aber so dämlich wird er ja nicht sein.«

Schulze zuckte zusammen.

»Vielleicht frag ich sie schon heute abend«, sagte Fritz entschlossen.

»Wen?«

»Hilde.«

»Was?«

»Ob sie meine Frau werden will.«

»Und wenn sie nicht will?«

»Auf diesen Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen«, sagte Hagedorn. Er war ehrlich erschrocken.»Mach mir keine Angst, Eduard!«

»Und wenn die Eltern nicht wollen?«

»Vielleicht hat sie keine mehr. Das wäre das bequemste.«

»Sei nicht so roh, Fritz! Na, und wenn der Bräutigam nicht will? Was dann?«

Hagedorn wurde blaß.

»Du bist übergeschnappt. Meine Hilde hat doch keinen Bräutigam!«

»Ich verstehe dich nicht«, sagte Schulze.»Warum soll so ein hübsches, kluges, lustiges Mädchen, das ein Grübchen hat und in der Iris goldne Pünktchen —, warum soll sie denn keinen Bräutigam haben? Meinst du, sie hat dich seit Jahren vorgeahnt?«

Fritz sprang auf.

»Ich bringe dich um! Aber zuvor gehe ich auf ihr Zimmer. Bleib sitzen, Eduard! Solltest du recht gehabt haben, werde ich dich nachher aufs Rad flechten. Besorge, bitte, inzwischen ein passendes Rad!«

Und dann rannte Doktor Hagedorn treppauf.

Geheimrat Tobler sah ihm lächelnd nach.

Einige Minuten später kam Herr Johann Kesselhuth, bereits im Smoking, in die Halle zurück. Er hinkte noch immer ein bißchen.

»Sind Sie mir sehr böse, Herr Geheimrat?«fragte er bekümmert.»Ich hatte Fräulein Hildegard versprochen, jeden Tag über unser Befinden zu berichten. Wer konnte denn ahnen, daß sie hierherkämen? Daran ist aber bloß die Kunkel schuld, dieser Trampel.«

»Schon gut, Johann«, sagte Tobler.»Es ist nicht mehr zu ändern. Wissen Sie schon das Neueste?«

»Ist es etwas mit der Wirtschaftskrise?«

»Nicht direkt, Johann. Nächstens gibt es eine Verlobung.«

»Wollen Sie sich wieder verheiraten, Herr Geheimrat?«

»Nein, Sie alter Esel. Doktor Hagedorn wird sich verloben!«

»Mit wem denn, wenn man fragen darf?«

»Mit Fräulein Hilde Schulze!«

Johann begann wie die aufgehende Sonne zu strahlen.

»Das ist recht«, meinte er.»Da werden wir bald Großvater.«

Nach längerem Suchen fand Hagedorn die Zimmer von Tante Julchen und deren Nichte.

»Das gnädige Fräulein hat einundachtzig«, sagte das Stubenmädchen und knickste.

Er klopfte.

Er hörte Schritte.

»Was gibt's?«

»Ich muß Sie dringend etwas fragen«, sagte er gepreßt.

»Das geht nicht«, antwortete Hildes Stimme.»Ich bin beim Umziehen.«

»Dann spielen wir drei Fragen hinter der Tür«, meinte er.

»Also, schießen Sie los, Herr Doktor!«Sie legte ein Ohr an die Türfüllung, aber sie vernahm nur das laute, aufgeregte Klopfen ihres Herzens.»Wie lautet die erste Frage?«

»Genau wie die zweite«, sagte er.

»Und wie ist die zweite Frage?«

»Genau wie die dritte«, sagte er.

»Und wie heißt die dritte Frage?«

Er räusperte sich.»Haben Sie schon einen Bräutigam, Hilde?«

Sie schwieg lange. Er schloß die Augen. Dann hörte er, es schien eine Ewigkeit vergangen zu sein, die drei Worte:

»Noch nicht, Fritz.«

»Hurra!«rief er, daß es im Korridor widerhallte. Dann rannte er davon.

Die Tür des Nebenzimmers öffnete sich vorsichtig. Tante Julchen spähte aus dem Spalt und murmelte:

»Diese jungen Leute! Wie im Frieden!«

 


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